Es gibt keine konkrete Definition von Minimalismus, aber Tobias Gillen hat seine eigene gefunden: eine bewusste Lebensweise, die frei von unnötigem Ballast ist. Darüber hat der Journalist und Geschäftsführer von FITNEO ein Buch geschrieben. Wir sprechen mit ihm über „Die Minimalismus-Formel“ im Interview.
Es gibt viele Wege, in den Minimalismus einzusteigen. Der erste Schritt ist aber, erstmal seine eigene Definition von einer minimalistischen Lebensweise zu finden.
Dafür kann man sich beispielsweise fragen, in welchen Bereichen man seinen materiellen Besitz reduzieren und inwiefern man sich emotional von lähmendem Ballast befreien will.
Wie auch immer man das Thema Minimalismus angehen will: Es fordert definitiv von einem, dass man sich mit sich selbst und seinem Leben auseinandersetzt. Tobias Gillen hat das erkannt und ein Buch darüber geschrieben, mit welchen Strategien und Techniken er sein eigenes Leben aufgeräumt hat.
Die Minimalismus-Formel: Ein Handbuch zum Einstieg in den Minimalismus
Es heißt „Die Minimalismus-Formel“ und versteht sich als praktisches Handbuch zum Einstieg in den Minimalismus. Gillen präsentiert darin keine feste Definition von einer minimalistischen Lebensweise, weil es die laut ihm nicht gibt und jeder für sich selbst herausfinden muss, was für ihn persönlich funktioniert und was nicht.
Wir haben mit Tobias Gillen über die Hintergründe seines Ratgebers gesprochen und dabei erfahren, wie der Journalist und Geschäftsführer von FITNEO gesunden Minimalismus in seinen Alltag integriert hat und Tag für Tag lebt.
Interview mit Tobias Gillen
FITNEO: Tobias, als Technik-Journalist, Unternehmer und geschäftsführender Gesellschafter hättest du auch über Hundert andere Themen ein Buch schreiben können. Warum hast du dich ausgerechnet für den Minimalismus entschieden?
Tobias Gillen: Erstmal hatte ich einfach Lust, nochmal ein Buch zu schreiben. Und da ich seit ein paar Jahren intensiv minimalistisch lebe und privat regelmäßig gefragt werde, wieso ich das mache, erschien es mir logisch, darüber zu schreiben.
Das Thema kommt oft in Gesprächen auf, insbesondere mit meiner Partnerin natürlich. Es gibt aber noch einen weiteren Grund: Ich bekomme mit, dass viele Menschen langsam begreifen, dass wir endlich über unsere Ressourcen nachdenken und uns fragen müssen, was uns wirklich glücklich macht. So hat eins zum anderen geführt.
Du verbindest Minimalismus also direkt mit Nachhaltigkeit und einer bewussten Lebensweise?
Auf jeden Fall. Minimalismus ist für mich ein ganzheitliches Thema. Es geht nicht darum, dass du irgendwelche T-Shirts aussortierst und deinen Kleiderschrank verkleinerst.
Es geht darum, dass du dir Gedanken über dein Leben machst und anfängst, wieder bewusst durch die Welt zu gehen. Dass du bewusst mit Ressourcen und deiner eigenen Zeit, Energie, Aufmerksamkeit und Konzentration umgehst.
Minimalismus und Nachhaltigkeit gehen offensichtlich Hand in Hand, wenn wir beispielsweise ein fair produziertes T-Shirt kaufen statt drei günstige Teile. Aber wie hilft diese Lebensweise konkret dabei, auch bewusster zu werden?
Es ist vielen Menschen nicht bewusst, aber alles, was wir zu Hause sehen – Gegenstände, Bücher Postkarten und so weiter – fordert unsere Aufmerksamkeit. Wir sehen diese Dinge und assoziieren automatisch Erinnerungen und Erlebnisse mit ihnen, die teilweise auch negativ sind.
Wenn ich nun täglich etwas sehe, das negative Gefühle in mir auslöst, nimmt mein Unterbewusstsein das ungefiltert auf. Es ist wie mit der Werbung im Fernsehen: Wir lassen uns negativ beeinflussen, ohne dass wir es merken.
Minimalismus kann insofern dabei helfen, als dass du dich mit diesen Gegenständen beschäftigst. Wenn du merkst, dass bestimmte Dinge dir keinen Mehrwert mehr liefern, kannst du sie aussortieren – und so auch wieder bewusster mit den Sachen umgehen, die dir wirklich etwas bedeuten.
Minimalismus ist ein Prozess
In deinem Buch „Die Minimalismus-Formel“ schreibst du, dass deine persönliche Reise zum Minimalismus mit einem Umzug angefangen hat – oder vielmehr, als du viele Kisten in der neuen Wohnung gar nicht erst ausgepackt hast. Wie hast du angefangen, deine Lebensweise umzustellen?
Das stimmt. Es war faszinierend zu beobachten, welche Dinge ich mit meiner Partnerin wirklich ausgepackt habe, weil wir sie brauchen oder unbedingt sehen beziehungsweise nutzen wollen. Das war nämlich nur ein Bruchteil von dem, was wir mitgeschleppt haben.
Ich hatte vorher nie etwas aussortiert, sondern immer alles im Keller oder Abstellraum gelagert. Ich habe dann angefangen, die unberührten Umzugskisten auszupacken und auszusortieren. Das waren beispielsweise noch alte Schulbücher und Hefte mit Matheformeln, die schon früher nichts gebracht haben – und heute eben noch weniger.
Danach habe ich mich nach und nach allen anderen Bereichen gewidmet: Schuhregal, Kleiderschrank, Büro und so weiter. Es ist alles immer weniger geworden, aber das war ein Prozess. Ich habe nicht von heute auf morgen alles aussortiert. Und das spreche ich in meinem Buch auch sehr häufig an: man sollte nicht ungeduldig werden, wenn man anfängt, sich mit Minimalismus zu beschäftigen.
Dabei hast du sicher mit den Strategien und Techniken gearbeitet, die du auch in der „Minimalismus-Formel“ vorstellst.
Genau. Minimalismus bedeutet für mich, Dinge auszusortieren, die dich belasten und einschränken. Mein Buch gibt dir Strategien an die Hand, wie du aufräumen und bewusster leben kannst: vom Vier-Stapel-System über die 72-Stunden-Regel beim Einkaufen bis hin zur Konmari-Methode, die auf die Japanerin Marie Kondo zurückgeht.
Dabei solltest du dich aber nicht von den Dingen trennen, die dir Freude bereiten. Ich besitze auch Dinge, von denen viele Minimalisten sagen würden, dass sie nicht zu meiner Lebensweise passen. Auf meinem Schreibtisch steht zum Beispiel ein kleines Space Shuttle, mit dem ich früher als Kind gespielt habe.
Der extreme Minimalist würde sagen, das ist Schrott. Aber mich macht das Teil glücklich. Ich verbinde damit positive Erinnerungen und nehme es gerne in die Hand und lasse mich gedanklich mal etwas treiben.
Das heißt, dass Minimalismus nicht gleich Minimalismus ist. Denkst du, dass jeder Mensch selbst herausfinden muss, was für ihn funktioniert?
Ja. Ich hoffe, dass ich mit meinem Buch Impulse geben kann, wie du deine eigene Definition von Minimalismus finden und leben kannst. Es bringt nämlich nichts, dein Leben umzustellen, indem du einfach deine Bücher und Kleider aussortierst.
Es geht darum, sich bewusst zu machen, was das eigene Leben bereichert und was nicht – materiell und emotional – und die überflüssigen oder negativen Aspekte dann nach und nach loszulassen.
Das Aufräumen ist aber auch nur der erste Schritt. Die eigentliche Kunst ist es, diesen Minimalismus dann auf eine Weise aufrecht zu erhalten, die dich persönlich glücklich macht.
Tobias Gillen: „Es gibt keine feste Definition für Minimalismus“
Glaubst du trotzdem, dass Minimalismus für jeden Menschen eine geeignete Lebensweise sein kann?
Es gibt keine feste Definition für Minimalismus. Ich sehe in verschiedenen Facebook-Gruppen, dass sich Leute darüber streiten, welche Produkte man als Minimalist besitzen darf und welche nicht. Das ist Schwachsinn. Minimalismus soll dich glücklich machen, und wenn du dafür einen Gegenstand brauchst, den andere für überflüssig halten, dann ist das so.
Ich habe kürzlich zum Beispiel mit einem Kollegen gesprochen, dessen Frau großen Spaß an Handtaschen hat. Er sagte, dass er mit ihr nicht so gut minimalistisch leben könne, das ist aber Unsinn. Wenn du wirklichen, ehrlichen Spaß an Handtaschen hast, dann hab bitte Handtaschen. Du kannst andere Bereiche trotzdem minimalistisch in dem Sinne gestalten, dass du weniger materielle Dinge ansammelst.
Gibt es einen Bereich, bei dem dir die Umstellung zum Minimalismus schwer gefallen ist?
Ja, bei Erinnerungsstücken. Ich habe dafür auch keine Formel. Dinge wie Fotos und Karten von Oma und Opa kann ich nicht wegwerfen.
Es gibt natürlich Strategien dafür. Du kannst dir beispielsweise die Frage stellen, wie du dich fühlen würdest, wenn du diese Dinge nicht mehr hättest. Oder du machst Fotos von den Gegenständen und legst sie digital ab. Aber das ist keine Lösung für mich. Ich habe eine klassische Kiste für solche Dinge, und finde das auch völlig okay.
Perfekten Minimalismus gibt es nicht
Du lebst also nicht perfekt minimalistisch, sondern hast einen Lebensstil gefunden, der für dich passt.
Richtig, perfekten Minimalismus kriegst du aber auch nicht hin. Dann müsstest du wirklich alles loswerden, was du nicht zum Leben brauchst. Und ich glaube, dass dich das ab einem gewissen Maße auch wieder unglücklich machen würde.
Wenn du irgendetwas aus Zwang tust, wird es grundsätzlich nicht funktionieren. Du musst eine Lebensweise finden, die für dich passt und die dich glücklich macht. So ist es auch mit dem Minimalismus.
Inwiefern hat Minimalismus dich und dein Leben also verändert?
Ich habe mehr Zeit und Energie, weil ich meine materiellen und emotionalen Altlasten losgeworden bin.
Ich hatte beispielsweise jahrelang furchtbare Angst vor dem Zahnarzt. Da bin ich einfach lange nicht hingegangen und hatte deswegen ein schlechtes Gewissen. Irgendwann habe ich dann einen Termin gemacht und die Sache durchgezogen. Seitdem fühle ich mich befreit. Minimalismus bedeutet für mich also auch, emotional aufzuräumen.
Materiell habe ich, neben vielen anderen Bereichen, beispielsweise meinen Kleiderschrank extrem ausgemistet. Ich habe das gleiche T-Shirt je zwei Mal in vier verschiedenen Farben – die passen und lassen sich mit allem kombinieren. So habe ich morgens keinen Frust mehr beim Anziehen, dadurch spare ich mir jeden Morgen Zeit und Energie.
Tobias Gillen: „Ich möchte weitergeben, was für mich funktioniert“
Wer deine „Minimalismus-Formel“ liest, wird trotzdem schnell feststellen, dass du den Leuten mit deiner Definition von Minimalismus nicht auf die Füße treten willst.
Ich versuche, in meinem Buch weiterzugeben, was für mich funktioniert hat. Ich möchte niemanden belehren, und du wirst auch auf Stellen treffen, in denen ich keine Lösungen für vermeintliche Probleme habe – wie beispielsweise die Sache mit den Briefen und Geburtstagskarten, die ich persönlich nicht wegwerfen kann.
Die „Minimalismus-Formel“ ist ein Ratgeber, aus dem du dir die Tipps und Strategien ziehen kannst, die sich für dich gut anhören. Ich stelle niemanden unter Zwang, sondern möchte den Leuten helfen, ihre eigene Form von Minimalismus zu finden.
Dafür hast du im Buchanhang auch den sogenannten Werkzeugkoffer parat.
Genau. Dort findest du nochmal alle Strategien, die ich vorher ausführlich erkläre, gesammelt auf einen Blick. Wenn du nachträglich nach einer bestimmten Methode suchst, willst du ja nicht nochmal das ganze Buch durchsuchen müssen. Ich habe im Anhang auch weiterführende Links auf meine Website eingefügt, auf der du mehr zum Thema lesen kannst.
Außerdem findest du im Anhang Missionen zum Loslegen, um sofort ins Handeln zu kommen – auch wenn du das Buch noch nicht fertig gelesen hast. Ich nehme ich dort an die Hand und zeige dir, wie du Schritt für Schritt in den Minimalismus einsteigen kannst.
Jedes Buch und E-Book pflanzt einen Baum
Du lässt für jedes verkaufte Buch und E-Book in Kooperation mit Ecosia außerdem einen Baum pflanzen. Wie läuft die Zusammenarbeit ab?
Der Grundgedanke ist zunächst einmal, dass ich etwas an die Natur zurückgeben will. Denn sowohl Bücher als auch E-Books entstehen nunmal auch auf Kosten unserer Umwelt.
Ecosia ist in Südamerika, Afrika, Asien und Südeuropa aktiv. Die Zusammenarbeit wird nun so ablaufen, dass ich am Monatsende immer den entsprechenden Geldbetrag aus den Buch- und E-Book-Verkäufen an Ecosia spende. Und die Partner von Ecosia pflanzen dann die Bäume in den verschiedenen Regionen.
Ich bin sehr froh, dass die Kooperation zustande gekommen ist. Wir haben schon darüber gesprochen, dass Minimalismus und Nachhaltigkeit zusammengehören. Deshalb war es mir sehr wichtig, der Umwelt auch etwas zurückzugeben.
Tobias, danke für das Gespräch!
„Die Minimalismus-Formel“ findest du ab sofort als Taschenbuch bei Amazon und als E-Book überall, wo es E-Books gibt (Amazon, iBooks, Google Play Store, Thalia, Weltbild, usw.).