Es ist so etwas wie die Gretchenfrage der Sportwissenschaft: Soll ich meine Muskulatur vor oder nach der Trainingseinheit mit bewussten Dehnübungen stretchen?
Früher wurde unser Körper so angesehen wie ein Motor, der erstmal warmlaufen muss. Egal ob du ins Fitnessstudio, zum Laufen oder ins Schwimmbad gehst: Dehnung vor dem Sport wurde aus vielen Ecken empfohlen. Wir haben für dich recherchiert und geben ein paar klare Antworten darauf, ob dieser Ratschlag wertvoll ist oder eher dem Reich der Mythen entspringt.
Was sagt die Wissenschaft zum Stretching vor dem Sport?
Experten sind sich nahezu einig: Stretching vor dem Training kann kontraproduktiv oder sogar verletzungsfördernd sein. Ausgiebige Studien legen nahe: Wer mit klassischen Dehnungsübungen auf die kalte Muskulatur startet, kann die Grundspannung der Muskulatur teilweise sogar erhöhen, anstatt sie zu lockern.
Ein Beispiel ist die typische Übung für den Hamstring (hintere Oberschenkelmuskulatur), wenn du probierst, mit den Fingerspitzen bei gebeugtem Rücken den Boden zu berühren. Da wir oft so verkürzt in dieser Muskulatur sind, wirkt diese Übung wie ein Schock, die Muskeln ziehen sich tendenziell eher noch mehr zusammen und die Grundspannung wird erhöht.
Teilweise könne das sogar konterproduktiv für die Leistung sein, vor allem bei Sportarten in denen Schnellkraft gefragt sei wie etwa Fußball oder Gewichtheben, so Professor Info Froböse von der Deutschen Sporthochschule in Köln.
Wichtig: Dehnung ist nicht gleich Aufwärmen
Auch Wissenschaftler aus den USA, die über 100 Studien ausgewertet haben, kommen zum gleichen Schluss. Klassische Dehnübungen vor dem Sport sollten vermieden werden. Was aber nicht heißt, dass du auf das Aufwärmen komplett verzichten solltest. Besser sind langsame Bewegungen wie ein lockerer Lauf oder beispielsweise auch Tai Chi.
Und vor allem ganz entspannte sportartspezifische Bewegungen wie langsame Aufschläge beim Tennis oder Einwerfen beim Basketball. So können Knorpel, Sehnen und Muskelansätze warm und geschmeidig gemacht werden. Außerdem wird unsere Herzfreuquenz schonend erhöht und auf die kommende Belastung vorbereitet.
Dynamik zum Aufwärmen, Statisches Stretchen nach dem Training
Wichtig ist dabei eine gewisse Dynamik an den Tag zu legen, also die Muskeln nicht bis an die Schmerzgrenze und vor allem mit stetiger Bewegung aufzuwärmen. Erst nach dem Training empfehlen die Forscher das sogenannten Stretchen, also die etwas stärkeren Dehnungübungen, die auch statisch, also ohne weitere Bewegung ausgeführt werden.
Das statische Dehnen hilft unserem Körper, zur Ruhe zu kommen, sich zu entspannen und eignet sich deshalb sehr gut für die Zeit nach dem Training. Während der statischen Dehnung neigt die Kerntemperatur der Muskulatur dazu zu sinken, sodass der Muskel abkühlt. Das Ziel der statischen Dehnung ist die Beweglichkeit im Muskel, Gewebe und Gelenk zu erhöhen. Experten empfehlen eine Dauer von 30 bis 60 Sekunden pro Übung, um den optimalen Dehnungsgrad zu erreichen.
Auch ein anderer Mythos ist hinfällig
Bisher kursierte auch eine weitere Meldung, die uns das Dehnen schmackhaft machte: Es solle nämlich gleichzeitig dem Muskelkater vorbeugen. Nun, da müssen wir dich enttäuschen! Auch wenn Dehnung und Stretching durchaus sinnvoll für eine leistungsfähige und gesunde Muskulatur ist: Es gibt keine wissenschaftlichen Anhaltspunkte, dass dadurch auch ein Muskelkater verhindert oder abgeschwächt werden kann.
Den Muskelkater wirst du also dennoch ertragen müssen, allerdings kannst du mit einem regelmäßigen Stretching-Programm (nach dem Training) zumindest deine Verletzungsanfälligkeit durchaus reduzieren.
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